Wir brauchen eine Verkehrswende
Die Veranstaltungen und Abstimmungen der letzten Wochen haben ein klares Bild gezeichnet: Für die Klimakrise zu bewältigen braucht es mehr als halbherzige Lösungsansätze. Auf globale Probleme müssen lokale Lösungsansätze folgen. Das Velo kann in der Region Sursee einen grossen Beitrag leisten.
Rückblick
Am 1. Mai stellte die Stadt Sursee den neuen Leitfaden Mobilität – in deren Einleitung die Autoren offen schreiben: „Bisher wurde der Verkehrszunahme mehrheitlich mit einem Ausbau der Infrastruktur begegnet. Dabei wurde vor allem dem motorisierten Individualverkehr (MIV) grosse Aufmerksamkeit geschenkt und auch gestützt auf Normierungen und Standards grosse Finanzmittel dafür aufgewendet (Leistungssteigerung der Strassen und Kreuzungen, Parkplatzausbau, usw). Dem raschen Mobilitätswachstum kann so heutzutage meist nicht mehr gefolgt werden. […] Für eine effiziente Bewältigung des künftigen Verkehrs in dichten Siedlungsgebieten muss aber den flächeneffizienten Verkehrsmitteln der Vorrang gewährt werden. So sind der Fussverkehr, das Velo und weitere Zweirad-Verkehrsmittel (z.B. E-Bike oder E-Roller) zusammen mit dem kollektiven öffentlichen Verkehr die Verkehrsmittel der Stunde in dichten Siedlungsgebieten.“
Am 21. Mai fand der „Strike For Future“ der weltweiten Klimabewegung auch in Sursee statt. Auf dem Martignyplatz wurde lautstark protestiert und die Jugendlichen organisierten gemeinsam mit ProVelo eine offiziell bewilligte Velodemo durch Sursee. Am Stand von Pro Velo konnten Passentinnen und Passanten Orte kennzeichnen, die verkehrstechnisch immer wieder zu Problemen führen und besser entflochten werden sollen.
Am 3. Juni war der „World Bicycle Day“ der Vereinten Nationen bei dem auch Pro Velo Schweiz eine spannende Podiumsdiskussion live im Internet übertragen hat. Nachzusehen hier – persönlich besonders spannend der Beitrag von Marcel Hänggi ab Minute 33, der neben einer historischen Herleitung der Marginalisierung des Velos auch über die Bedeutung für die Klimabewegung sprach.
Am 13 Juni 2021 haben die Schweizer Stimmberechtigten das CO2-Gesetz an der Urne abgelehnt. SRF-Bundeshausjournalist Andy Müller schreibt: „Es ist ein Debakel für eine deutliche Mehrheit im Parlament, die jahrelang am CO2-Gesetz feilte. Das CO2-Gesetz war ein klassischer Schweizer Kompromiss. Aber für einen Kompromiss engagiert sich halt auch niemand leidenschaftlich. Umso stärker und mit sehr konkreten Kostenargumenten kämpften dafür die Gegner.“
Ausblick
Es braucht eine Verwehrswende. Warum ist das wichtig für die Region Sursee? Im folgenden möchte ich Aspekte des Velos aus verschiedenen Perspektiven beleuchten, die in den meisten Diskussionen untergehen, und vor allem meine persönliche Meinung wiedergeben:
Velos bringen mehr Verkehr – Schaut man sich den Flächenbedarf der unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer an, so benötigt das Auto pro Passagier am meisten sowohl im Stillstand als auch unterwegs. Ein Wandel weg vom Auto zu egal welchem Verkehrsmittel führt automatisch zu einer Verdichtung, einer effizienteren Flächennutzung, zu mehr Verkehr und nicht zu weniger. Eine Velostrasse ist weder verkehrsarm noch eine Verkehrsberuhigung.
Wer den öffentlichen Verkehr ernsthaft als Alternative zum Auto denken will, müsste eigentlich die Distanz zur nächsten Haltestelle kürzer machen als den Weg zum nächsten Parkplatz. Das halte ich in der Region Sursee für unglaubwürdig – daher ist das Velo eine so wichtige Alternative für die Region.
Velofahrende als lokale Konsumenten – kleine Ladengeschäfte haben es immer schwieriger in Konkurrenz mit den grossen Ketten und dem Onlinehandel. Wer sich bereits in ein Auto setzt um die Dinge des täglichen Lebens zu kaufen, der wird auch leicht ein bisschen weiter fahren in ein Shoppingcenter. Warum mühsam an fünf Orten einen Parkplatz suchen, wenn ich direkt in die Tiefgarage des Grossverteilers fahren kann? Studien in Bern haben gezeigt, dass Velofahrende nicht nur häufiger in der Altstadt einkaufen, sondern in der Summe dann auch mehr Umsatz generieren als Autos. Hier gilt es vor allem mit dem Gewerbeverband und den lokalen Betrieben unserer Region zu schauen, dass eine positive Wahrnehmung für das Velo entsteht und welche Bedeutung es für eine lebendige Region hat.
Veloinfrastruktur als günstigere Alternative – Die Region Sursee hat enormes Wachstumspotential, das jedoch vom Verkehrskollaps bedroht wird. Es braucht eine ganz klare Entflechtung von verschiedenen Verkehrsteilnehmern – und das ist eben nicht nur ein gelber Streifen auf der Autostrasse – niemand will beim Stau rechts an den Fahrzeugen vorbeischlängeln. Wir brauchen mehr und diversifizierte Verkehrskapazitäten. Hier zeigt man einerseits auf Stadt und Kanton für Velowege, aber auch bei Wohnungen, am Arbeitsplatz und in Geschäften fehlt es an ausreichend Platz, Schutz vor Umwelteinflüssen und vor Diebstahl, optimale Zufahrten und Integrationen in den Gebäudekomplex. Wer Angst haben muss, dass sein Velo am Abend nicht mehr am Bahnhof steht, wird Alternativen suchen. Wer keinen Platz findet mit seinem Veloanhänger vor einem Geschäft zu parkieren, wird woanders hinfahren. Wenn ich mein Velo erst aus dem Velo-Keller tragen muss, werde ich es häufiger stehen lassen. 10% der Autofahrten sind kürzer als 1km. Das könnte man schneller mit dem Velo fahren – oder in 15 Minuten zu Fuss gehen.
Dabei geht es darum, dass Veloinfrastruktur die günstigste Massnahme gegen Staus ist. Eine Standortförderung für Wirtschaft, Tourismus und Anwohner gleichermassen. Sursee steht dabei nicht nur in Konkurrenz mit der Region, sondern in einer globalisierten und immer mehr digitalisierten Welt auch mit vielen Standorten in der Schweiz und Europa – eine Abwanderung der Bevölkerung oder Unternehmer wäre fatal.
Velos für verdichtetes Bauen– Wir haben so viele private Autoparkplätze, die meist ungenutzt frei stehen, dass es Sinn machen könnte, die öffentlichen Parkplätze entlang der Strassen aufzuheben und in Verkehrsfläche zu wandeln für Fussgänger, Velofahrerinnen und den öffentlichen Verkehr – für mehr Verkehr statt weniger. Kleine Läden mit eigenen Parkplätzen könnten immer noch mit gratis Parkplätzen locken, aber vielleicht wäre es dann nicht mehr gratis in der Surseepark-Tiefgarage zu parkieren. Ein steigender Parkplatzpreis würde auch die Attraktivität des Autos schmälern und Anreize zum Umstieg auf andere Verkehrsmittel schaffen.
Auf der gleichen Fläche wo heute ein Auto parkiert (mit durchschnittlich 1.2 Personen) könnten zukünftig dutzende Räder (Velos, Scooter, Ebikes …) ein vielfaches an Kunden zu den Läden bringen und die Immobilieneigentümer könnten gleichzeitig höhere Renditen aus ihren Autoparkplätzen holen.
Velos im Wandel – die Fortschritte in Batterietechnik und die sinkenden Preise für Elektrovelos ermöglichen eine ganz neue Nutzung für Velos im Alltag. Wie die Buchhandlung Untertor mit ihrem Lastenvelo zeigt, ist so eine velobasierte Logistik nicht nur vorstellbar, sondern sogar ein Wettbewerbsvorteil gegenüber dem Onlinehandel. Ohne zu Schwitzen ins Büro und das Kind selbst bei Regen trocken in die Kita bringen, alles möglich dank Tretunterstützung. Dabei steigt gleichzeitig auch der Radius, der mit dem Velo innerhalb einer Zeit erreichbar ist: vom Bahnhof Sursee ist ein schnelles E-Bike in 10 Minuten in Eich, oder ein Langsames in 10 Minuten im Paraplegiker Zentrum
Somit wird das eBike eine echte Alternative zum Auto und sogar zum ÖV!
Diskussion
Ich möchte alle Leserinnen und Leser einladen an der Diskussion aktiv teilzunehmen – wir freuen uns über Kommentare und Beiträge. Der Verein Pro Velo Sursee organisiert einen monatlichen Vereinsstammtisch, an dem auch Nicht-Mitglieder herzlich eingeladen sind.